Mysterien und das frühe Christentum

Mysterien und das frühe Christentum
Mysterien und das frühe Christentum
 
»Auch uns hast du errettet, indem du das (ewige) Blut vergossen hast.« Diese Formulierung dürften viele Christen auf Jesus Christus beziehen, der nach kirchlicher Lehre sein Blut für das Heil der Menschen vergossen hat. Doch der Satz stammt nicht aus christlichem Umfeld, sondern schmückte einst als Inschrift ein Mithrasheiligtum in Rom und richtete sich an Mithras, den Gott des gleichnamigen Mysterienkultes. Die Ähnlichkeit zwischen dieser Inschrift und christlicher Rede vom sühnenden Heilstod Jesu Christi ist - zumindest auf den ersten Blick - verblüffend. Es ist nicht die einzige Ähnlichkeit zwischen. Christentum und Mysterienkulten. So scheinen die Kultmähler antiker Mysterien dem christlichen Abendmahl häufig so ähnlich gewesen zu sein, dass christliche Theologen wie Justin, der um 165 in Rom als Märtyrer gestorben ist, oder Tertullian im 2./3. Jahrhundert heftig gegen sie polemisierten. Justin kann sich die mithrische Kultfeier, bei der es Brot und Wasser gab und gewisse Formeln dazu gesprochen wurden, nur als von Dämonen initiierte Nachahmung des christlichen Abendmahls vorstellen. Die Verteufelung war aber nur eine Seite des christlichen Umgangs mit den Mysterienkulten. Auf der anderen Seite benutzten christliche Theologen völlig unbefangen Mysteriensprache, um die Anhänger der Mysterien für das Christentum zu gewinnen. So konnte Klemens von Alexandria im 2. Jahrhundert werben: »Komm, ich will dir den Logos zeigen und die Mysterien des Logos, und ich will sie dir erklären in Bildern, die dir - dem Mysteriengläubigen - vertraut sind.«
 
Die offenkundigen Ähnlichkeiten zwischen. Christentum und Mysterienkulten zum einen und die christliche Übernahme von Mysterienterminologie zum anderen führten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in der religionsgeschichtlichen Schule zu der Ansicht, dass die christlichen Sakramente aus den Riten der Mysterienkulte entstanden seien und dass der Mythos vom Sterben und Auferstehen einer Mysteriengottheit wesentlich das Bekenntnis von Tod und Auferstehung des Gottmenschen Jesus Christus beeinflusst habe. Obwohl diese Annahmen ziemlich populär wurden, werden sie heute in der Theologie und der Altertumswissenschaft mehrheitlich abgelehnt. Wichtiger als vorschnell eine gegenseitige Abhängigkeit zu postulieren, erscheint es, das jeweils Eigene von Mysterienkulten und Christentum herauszuarbeiten, um erst dann die Frage nach der Ursache der Ähnlichkeiten zu stellen.
 
Wie der Begriff »Mysterium« schon andeutet, handelt es sich bei den antiken Mysterienkulten im Unterschied zur offiziellen Religion um Geheimkulte. Wer in einen Mysterienkult aufgenommen werden wollte, musste sich einer persönlichen Einweihung unterziehen oder - in lateinischer Übersetzung - einer Initiation, die sich oft in mehreren Stufen vollzog. Eingeweiht werden konnten mit Ausnahme der männerbündischen Mithrasmysterien prinzipiell beide Geschlechter, Sklaven und Freie. Inwieweit Sklaven unabhängig von ihren Herren eingeweiht wurden, ist allerdings nicht ganz klar. Der Ablauf der Einweihung wurde wie der der Mysterienfeier streng geheimgehalten, sodass wir bis heute über Einzelheiten der verschiedenen Kulte, ihrer Lehre und Rituale, nur bruchstückhafte Informationen besitzen. Der Mythos der jeweiligen Mysteriengottheiten war dagegen allgemein bekannt, denn es handelte sich bei ihnen - mit Ausnahme des Mithras - um Götter, die oft am gleichen Ort und mithilfe der gleichen Priester in jährlichen Festen oder täglichen Gottesdiensten allgemein verehrt wurden. Mysterienkulte müssen daher als eine Sonderform des Kultes verstanden werden, keinesfalls als eigene Religionen wie das Christentum oder das Judentum. Entsprechend kannten sie weder ein geschlossenes Lehrsystem, noch erhoben sie einen Absolutheitsanspruch. Es war durchaus üblich, in mehrere Kulte eingeweiht zu sein. Mysterienkulte waren nach Walter Burkert »eine persönliche Option im Rahmen des allgemeinen polytheistischen Systems - vergleichbar in etwa vielleicht mit einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela im Rahmen mittelalterlicher Religiosität«.
 
Im Unterschied zur offiziellen Religion der Antike versprachen die Mysterienkulte eine besondere, persönliche Beziehung zwischen dem Eingeweihten und den Mysteriengottheiten. Diese Gottheiten gehörten fast alle zum Typ des leidenden Gottes, so wie die ägyptische Isis, die ihren getöteten, zerstückelten Bruder und Gemahl Osiris sucht, ihn schließlich findet und mit ihm den Horusknaben zeugt. Im Nachvollzug des göttlichen Schicksals erhielten die Mysten Anteil an Erlösung und Heil der Gottheiten. Dieses Heil konnte sich auf innerweltliche Hoffnungen richten, auf Bewahrung vor Krankheit, Armut, Gefahren auf Reisen, aber auch auf ein besseres Schicksal nach dem Tod im Jenseits.
 
Von einer »Wiedergeburt« oder gar einer »Auferstehung« des Gottes und in seiner Folge der Mysten ist im Unterschied zum Christentum in den Mysterienkulten und den dazu gehörenden Mythen aber nirgends die Rede. Osiris lebt als König der Unterwelt weiter, Persephone, Kore, bleibt zwei Drittel des Jahres auf der Erde und ein Drittel im Hades, aus dem Blut des Attis entstehen Veilchen. Trotzdem sind strukturelle Ähnlichkeiten zwischen. Christentum und Mysterienkulten nicht zu übersehen. Auch das Christentum verheißt Erlösung durch die Bindung an einen Heilsbringer, nämlich an Jesus Christus. Der Zugang zur christlichen Gemeinschaft war damals wie in den Mysterien von einer persönlichen Entscheidung abhängig, die in der Taufe als einer Art Initiation besiegelt wurde, und das christliche Abendmahl wird eben auch als Vergegenwärtigung von Tod und Auferstehung Jesu Christi verstanden, die im Mitfeiern Heil schafft, ähnlich dem Nachvollzug des göttlichen Schicksals durch die Mysten in den Mysterienkulten.
 
Im einzelnen sind die Unterschiede zwischen. Christentum und Mysterienkulten allerdings beträchtlich, handelt es sich doch bei Jesus von Nazareth nicht um einen Gott oder eine mythische Gestalt, sondern um eine geschichtliche Person. Zum Beispiel fehlt der Gedanke des Sterbens für andere in den Mysterienkulten. Nach der am Anfang zitierten Mithrasinschrift vergießt Mithras denn auch nicht sein eigenes Blut, sondern das des Urstiers, um das Leben der Welt zu erneuern. Die in einigen Punkten unbestreitbare Ähnlichkeit zwischen. Christentum und Mysterienkulten beruht daher weniger auf der christlichen Übernahme bestimmter Mysterienphänomene, sondern geht wesentlich auf das Konto eines allgemein menschlichen Grundbedürfnisses nach Sicherheit, Glück und Erlösung. Um das zu erreichen steht »nur ein begrenztes Ausdruckspotenzial zur Verfügung. So groß ist der Vorrat an Gesten und Handlungen nicht, auf die man verfallen konnte« (Hans-Josef Klauck), besonders in der trotz aller Unterschiede relativ homogenen Mittelmeerkultur.
 
Dr. Angelika Strotmann
 
 
Brown, Peter: Die Entstehung des christlichen Europa. Aus dem Englischen. München 1996.
 
Christologie, bearbeitet vonKarl-Heinz Ohlig. Band 1: Von den Anfängen bis zur Spätantike. Graz u. a. 1989.
 Demandt, Alexander: Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian, 284-565 n. Chr. München 1989.
 Fuhrmann, Manfred: Rom in der Spätantike. Porträt einer Epoche. München u. a. 21995.
 Klauck, Hans-Josef: Die religiöse Umwelt des Urchristentums, Band 1: Stadt- und Hausreligion, Mysterienkulte, Volksglaube.Stuttgart u. a. 1995.
 Schenke, Ludger: Die Urgemeinde. Geschichtliche und theologische Entwicklung. Stuttgart u. a. 1990.
 Vouga, François: Geschichte des frühen Christentums. Tübingen u. a. 1993.

Universal-Lexikon. 2012.

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